Eine Traumküche

Das plötzliche Licht blendete meine Augen. Nur langsam konnte ich mich an die gleissende Helligkeit gewöhnen. Erst schemenhaft, dann immer klarer konnte ich die Umrisse der Kochinsel erkennen. Die auf Hochglanz polierte Lackierung der Küche schimmerte glänzend im Licht und warf das scharfe Bild der Umgebung in alle Richtungen zurück. Wie ein gefrorener See überzog eine metallene Eisschicht die Kochinsel. Das Spiel des Lichtes und der kontrastreiche Wechsel von Hart und Weich zogen mich unwiderstehlich an. Ich musste diesen kühlen Monolithen unbedingt anfassen.

Mit einem Schritt war ich bei der Insel. Das erstaunlich warm wirkende Metall der Eisabdeckung liebkoste meine Handfläche. Ich konnte nicht davon lassen, immer wieder sanft darüber zu streichen. Wie der dunkle Schlot eines Vulkans lag das Kochfeld direkt vor mir. Mit wachsender Begeisterung und ungläubigem Staunen beobachtete ich, wie das Feuer dieser Kochstelle wie von Zauberhand dem Kochtopf folgte. Wo immer der Topf stand, da befand sich auch die rotglühende Hitze darunter. Feuer und Eis, Erde und Luft, die vier Elemente in einer Küche vereint. Ein ehrfürchtiger Schauer durchlief meinen Körper.

Ich füllte den Topf mit Wasser. Wie ein sprudelnder Bergquell schoss das mineralhaltige Wasser aus dem Hahn. Ich hatte eine Sodaquelle entdeckt. Ich konnte es kaum fassen. Ein einfacher Knopfdruck und ich konnte wählen, ob lautes oder stilles Wasser fliessen sollte. Kaum stand der Topf auf dem Kochfeld, hatte dieser auch schon eine Hitzequelle eingefangen. Ein paar Sekunden später stiegen die ersten Dampfschleier zur Decke und ich spürte plötzlich, wie ich den Boden unter den Füssen verlor. Ich wurde sanft in die Luft gehoben. Vor meinen Augen drehte sich alles. Aus oben wurde unten und das unten kehrte sich nach oben. Ich musste die Augen schliessen.

Als ich sie wieder aufschlug stand ich vor einem glänzenden Chromstahl-Altar. Eine Dampfsäule senkte sich gemächlich auf die Stahl-Oberfläche herunter und wurde sogleich von einem feinen Rillensystem aufgesogen. Dabei war nur ein leises Summen zu hören. Das Wallen des Dampfes und dieses monotone Geräusch hatten etwas Metaphysisches. Ich schaute nach oben und sah zu meinem Erstaunen die Kochinsel von der Decke hängen. Aus dem dampfenden Topf vernahm ich die ferne Stimme meiner Frau: „Liebling, Zeit, aufzustehen…“.

Ich schlug die Augen zum dritten Mal auf. Meine Frau strahlte mich an. „Du musst aufstehen. Wir haben doch um 9:00 Uhr einen Termin beim Küchenberater von Piatti. Es ist wichtig, dass wir pünktlich sind. Wer weiss, wie lange es dauert, bis wir wissen, wie unsere Küche aussehen soll.“ Ich nahm sie in die Arme und lächelte verschlafen: „Mach dir keine Sorgen mein Schatz, ich hab da so eine Vorstellung…“

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© Peter Waltenspühl, 2019

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